Gefordert sind für die Tourismus- und Kulturbranche gezielte Maßnahmen und eine kreisweite Vernetzung

Datum des Artikels 28.05.2020

Unser kultureller und sozialer Wohlstand ist nur zu halten, wenn gezielte Maßnahmen ergriffen werden. Nicht nur die Großen unterstützen, sondern gerade den Mittelstand und damit in Innovationskraft investieren.


 

Die MIT Recklinghausen begrüßt die jetzt vom Bund initiierten Hilfen wie Rettungsfonds und Rettungsschirm für die Kultur-, Freizeit- und Tourismusbranche. „Darüber hinaus, so Dr. Roger Przybylski (Tourismus politischer Sprecher der MIT Kreisverband Recklinghausen), muss alles getan werden damit in der Zukunft eine diversifizierte, mittelständische Branchenstruktur in unserer Region erhalten bleibt. Nur dadurch können wir unsere Innovationskraft, Service- und Produktqualität auch in Zukunft gewährleisten.“

Veränderte Reisebereitschaften können neue Märkte öffnen, oder vorhandene Märkte stärken. Die im Tourismus in verschiedenen Segmenten wegfallenden Umsätze, wie bei Geschäftsreisen, beim extremen Billigtourismus, bei Kreuzfahrten und natürlich auch bei Reisen nach China oder in die USA, können durch regionale Dienstleistungen ersetzt werden. „Das heißt für uns vor Ort, Segmente wie Camping, Ferienwohnungen, Reisen im Wohnmobil werden zunehmen. Das ist eine Chance für unsere Region, ob im ländlichen Bereich, den Städtereisen, oder in der stark vorhandenen Industriekulturlandschaft“, so Torsten Jakob MIT Kreisvorsitzender.

Digitalisierung und Vernetzung ist auch hier ein Schlüssel zum Erfolg. Politisch voranzutreiben ist, die im Kreis aktiven, bzw.  noch zu erstellenden Tourismuskonzepte zusammen zu führen und für alle Anbieter aus dem Freizeit- Tourismus- und Kulturbereich transparent zu gestalten.

Hier das gesamte Interview mit dem Tourismus politschen Sprecher, Herrn Dr. Roger Przybylski (selbst Unternehmer in der Tourismusbranche und beratend tätig für verschiedene Tourismusverbände).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

T.J.: Bevor wir uns mit Details und strukturellen Eigenheiten der Kultur-, Freizeit- und Tourismusbranche beschäftigen, was sind die Kernpunkte Ihrer Analyse?

R.P.: Die COVID-19-Pandemie hat das Leben aller verändert, da wurde niemand ausgenommen. Es gibt in diesen Branchen jedoch spezielle strukturbedingte Situationen, die zu beachten sind. Von den Unternehmern in diesen Branchen wurde Verantwortung übernommen, um Schaden von den Kunden fernzuhalten. Es gibt neben den klassischen Formen wirtschaftlicher Unterstützung auch administrative und legale Aspekte, die einfach, schnell und wenig kostenintensiv zusätzliche Verbesserungen der Branchensituation ermöglichen. Nach dem Grundsatz der Fairness müssen alle Unternehmen einer Branche nach gleichen Regeln handeln und nicht Einigen Vorteile zugestanden werden, die zu Lasten anderer gehen. Nicht zuletzt ist es essenziell, mittelständische Unternehmen zu schützen. Nur dadurch kann hohe Servicequalität, Produktqualität und Innovationskraft und damit die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes in diesen Branchen in Zukunft erhalten bleiben.

T.J.: Welchen besonderen Herausforderungen mussten und müssen sich Unternehmen der Kultur, Freizeit und Tourismusbranche aufgrund der COVID-19-Pandemie stellen?

R.P.: In diesen Branchen werden Dienstleistungen produziert die im Gegensatz zu Gütern nicht gelagert und daher auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt verkauft werden können. Die staatlichen Entscheidungen zur Eindämmung der Pandemie haben Konzerte, Events, Messen und auch Reisen für einige Monate undurchführbar gemacht und damit den Unternehmen dieser Branche in diesem Zeitraum die Einkünfte komplett entzogen.

T.J.: Es können aber doch den Kunden zu einem späteren Zeitpunkt Reisen oder Konzerte angeboten werden?

R.P.: Ja, aber diese Angebote ersetzen nicht die ausgefallenen Einkünfte, sondern wären ohnehin zustande gekommen.

T.J.: Gibt es weitere spezielle Aspekte in diesen Branchen?

R.P.: Ja, der Betrieb kann nicht problemlos geschlossen werden, um damit wenigstens die Kosten niedrig zu halten. Durch die erforderlichen Rückabwicklungen entstanden auch noch erhebliche Zusatzkosten. Zudem ist das Krisenmanagement ressourcenintensiv. Insofern sind diese Branchen ökonomisch erheblich stärker als viele andere durch die Pandemie betroffen.

T.J.: Aber viele Reisebüros und Veranstalter waren für bestimmte Zeit komplett geschlossen und nicht erreichbar?

R.P: Hier zeigt sich der Vorteil mittelständisch geprägten unternehmerischen Handelns: Mittelständische eigentümergeführte Reisebüros und Reiseveranstalter haben eine größere Nähe zu ihren Kunden. Das bedeutet, dass die Kommunikation untereinander intensiver und das Verständnis füreinander größer ist. Das wiederum führt zu höherer Service- und Produktqualität. In der Krise wird also nicht dicht gemacht, sondern Verantwortung übernommen.

T.J.: Sind in der Kultur, Freizeit- und Tourismusbranche alle Unternehmen gleich betroffen oder gibt es Unterschiede?

R.P.: Es gibt Unterschiede zwischen diesen Branchen und auch innerhalb jeder einzelnen Branche.

T.J.: Welche wären da zu nennen?

R.P.: Sie ergeben sich aufgrund des Komplexitätsgrades der Veranstaltung, der Höhe des Verkaufspreises und der Dauer der Dienstleistung. Je weniger komplex eine Veranstaltung, je niedriger der Verkaufspreis und je kürzer die Dauer, desto einfacher sind Probleme zu lösen und umgekehrt. Daher wurde wohl auch eine Gutscheinlösung für Konzerte, Eintritts- und Saisonkarten als Gesetzentwurf bereits vorgelegt, während für Messen, Kongresse, Seminare und Reisen ein Rettungsfonds, beziehungsweise Rettungsschirm zur Diskussion steht.

T.J.:  Der Kauf eines Konzerttickets für ein abgesagtes Konzert ist einfach zu verstehen: Können Sie ein Beispiel für eine komplexe Situation geben?

R.P.: Eine der komplexesten Situation ist sicherlich eine mehrwöchige Fernreise in ein Land außerhalb der europäischen Union. Wurde so eine Reise abgesagt, bestand nicht nur die Verpflichtung den Kunden die Entgelte zurückzuerstatten, sondern es gestaltet sich auch höchst schwierig die dafür bereits geleisteten Zahlungen an die Lieferanten wie Fluggesellschaften, Hotels et cetera zurückzuerhalten. Hier ergibt sich also ein doppeltes Liquiditätsproblem, verbunden mit einem erheblichen administrativen und legalen Zusatzaufwand.

T.J.: Gibt es weitere wichtige Unterschiede?

R.P.: Ja, der Komplexitätsgrad unterscheidet sich nicht nur in Hinsicht auf die finanziellen Konsequenzen der Pandemie, sondern auch in Hinsicht auf die zu beachtenden Voraussetzungen, die eine erneute Dienstleistung wieder möglich machen.

T.J.: Können Sie das konkretisieren?

R.P.: Um zum Beispiel ein Konzert in Deutschland wieder veranstalten zu können, muss eventuell nur eine Voraussetzung gegeben sein. Bei Fernreisen ist zu beachten: Kann ich ausreisen? Kann ich einreisen? Gibt es Flüge? Muss ich nach Rückkehr in Quarantäne? Gibt es Reisewarnungen?

T.J.: Was ist für die Zukunft zu beachten und zu erwarten?

R.P.: Sicherlich werden die Möglichkeiten der Digitalisierung in allen Bereichen stärker ausgeschöpft werden. Abstandsregelungen und Hygienevorschriften können dadurch besser eingehalten und Kosten gesenkt werden.

T.J.: Haben Sie dazu konkrete Vorstellungen?

R.P.: Messen könnten beispielsweise in Zukunft auch virtuell organisiert werden. Also statt persönlich ein Gespräch auf einem Messestand zu führen, könnten die Gespräche per Videokonferenz stattfinden. Für das Arrangement der Meetings wird die Messeorganisation weiterhin gebraucht. Genauso könnten zum Beispiel auch Buchvorlesungen oder Seminare organisiert werden.

T.J.: Was könnte sich noch verändern?

R.P.: Eine innovative Form Events zu veranstalten sind die neuen Autokinos mit Open Stage Konzept: Dort können nicht nur Filme vorgeführt werden, sondern auch Fußballspiele gezeigt, Konzerte veranstaltet, Comedy-Shows gezeigt, Gottesdienste abgehalten, neue Produkte vorgestellt, Versammlungen organisiert oder Zeugnisvergaben durchgeführt werden.

T.J.: Welche Veränderungen zeichnen sich in der Tourismusbranche ab?

R.P.: Es wird in verschiedenen Bereichen Veränderungen geben. Ein Beispiel wäre das digitale und kontaktlose Einchecken am Flughafen. Die Bordkarte wird man vorher erhalten und sie wird beim Check-in am Flughafen nur gescannt, entweder digital auf dem Mobiltelefon oder in gedruckter Form. Das Gepäck wird in eine spezielle Maschine gegeben, ohne dabei in Kontakt mit dem Flughafenpersonal zu kommen. Mit Stickern auf dem Boden wird den Fluggästen gezeigt, wie sie mit genügend Abstand zu den anderen Passagieren stehen sollten.

T.J.: Welche Aspekte sind für die Zukunft außerdem zu beachten?

R.P.: Neben Veränderungen und Verbesserungspotential, die sich aufgrund stärkerer Digitalisierung ergeben, ist es wichtig Segmente innerhalb einer Branche zu identifizieren und nicht alles über einen Kamm zu scheren. Beispielweise im Tourismus werden das Geschäftsreisesegment, der extreme Billigtourismus, Kreuzfahrten und natürlich auch Reisen nach China über längere Zeit starke Umsatzeinbußen hinnehmen müssen. Camping, Ferienwohnungen, Reisen im Wohnmobil werden zunehmen. Andere Segmente werden kurzfristig wieder ihr vorheriges Niveau erreichen, allerdings unter veränderten Rahmenbedingungen.

T.J.: Wo sehen Sie spezielle Wachstumschancen und Verbesserungspotential im regionalen Tourismus?

R.P.: Der Informationsfluss über die vorhandenen Dienstleistungen, sowie die Vernetzung untereinander, könnte besser sein. Zum Beispiel könnte das lokale Ausflugslokal mit dem lokalen Fahrradverleih wundervoll zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützen zum Wohle aller.

T.J.: Wie könnte die Politik das unterstützen?

R.P: Über regionale Arbeitsgruppen und Formate, die es Allen einfacher machen regionale Dienstleistungen zu erkennen, zu buchen und zu vernetzen.

T.J.: Das bedeutet flexible innovative Unternehmer können nach der Krise wieder erfolgreich arbeiten?

R.P.: Dies sind zumindest wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zukunft. Es ist aber auch wichtig spezifische Probleme, wie die legale Durchsetzbarkeit von Forderungen im Ausland oder gegenüber privilegierten Lieferanten wie Fluggesellschaften, von staatlicher Seite mit Lösungen zu begleiten und auch die Gesetze und Verordnungen zu ändern, die sich als nicht krisentauglich erwiesen haben. Hier bedarf es einer größeren Sensibilisierung der Politik.

T.J.: Gibt es außerdem Aspekte, die von der Politik stärker beachtet werden müssten?

R.P.: Besonders betroffene Branchen wie die Kultur, Freizeit und Tourismusbranche brauchen jetzt auch besondere Hilfen wie den geplanten Rettungsfonds, beziehungsweise Rettungsschirm. Darüber hinaus halte ich es für die Zukunft unseres Landes für außerordentlich wichtig, dass diversifizierte, mittelständische Branchenstrukturen erhalten bleiben. Nur dadurch können unsere Innovationskraft, Service- und Produktqualität auch in Zukunft gewährleistet und unsere hart erarbeiteten Wettbewerbsvorteile nachhaltig erhalten bleiben. Also nicht nur die Großen unterstützen, sondern auch den Mittelstand und damit in Innovationskraft investieren.